Je gröber das Gelände wird, umso relevanter wird eine funktionierende Federung für den Komfort, die Sicherheit, aber auch für hohe Geschwindigkeiten. Der Komfort bei einer langen Radtour ist nicht zu vernachlässigen. Ist man irgendwann richtig durchgeschüttelt, dann will man das Tempo gar nicht mehr halten. Mit neuen Konzepten wollen die Hersteller die Federung am Gravelbike verbessern. Grundlagen, bisherige und zukünftige Feder- und Dämpfungslösungen finden in diesem Artikel Beachtung.
Inhalt
- Einleitung
- Gefederte und ungefederte Masse
- Federgabel
- Vorbau und Sattelstütze
- Kingpin
- Future Shock
- MTT
- Vergleich
Die Bereiche der während der Fahrt einwirkenden Kräfte sind im Folgenden zur Verdeutlichung einzeln aufgeführt:
- Reifen nehmen die Kräfte als erste auf und können die Fahreigenschaften eines Fahrrads deutlich verbessern. Die für den jeweiligen Einsatzzweck beste Kombination aus Profil, Breite, Material, Luftdruck und Gewicht hat große Auswirkungen auf die Federung. Eine optimierte Breite und Form der Reifen Lauffläche kombiniert mit dem passenden Luftdruck sorgen für besseren Kontakt zum Untergrund. Nicht nur der Grip kann so verbessert werden, sondern auch inwieweit der Reifen Unebenheiten ohne dabei zu hüpfen überrollen kann. Selbst im Rennradsport ist man von ultra schmalen Reifen zu nun 25 mm übergegangen, weil ermittelt wurde, dass der Sweet Spot hinsichtlich Gewicht, sowie Wind- und Abrollwiderstand, bei eben etwas breiteren Reifen mit weniger Luftdruck liegt. Die Optimierung der Reifen für den jeweiligen Einsatzzweck ist eine effiziente und preiswerte Möglichkeit, die Dämpfung am Gravelbike spürbar zu verbessern.
- Speichen eines guten Laufrads müssen eine Vielzahl an Kräften übertragen. Je nach Qualität, Material, Länge, Anzahl und Einspeichmuster sind Laufräder eine äußerst komplexes Bauteil, das die Fahreigenschaften ebenfalls deutlich verändert. Hochwertige leichte Laufräder verbessern aufgrund ihres geringeren Gewichts nicht nur das Ansprechverhalten am Berg, sondern verringern natürlich auch die ungefederte Masse insgesamt.
- Die Gabel nimmt die Kräfte des Laufrads auf, absorbiert einen Teil davon und überträgt Kräfte an das Steuerrohr.
- Der Rahmen nimmt aufgrund seiner Rohrkonstruktion eine Vielzahl an Druck-, Zug-, Biege-, Torsions- und Schwingungskräften auf und absorbiert einen großen Teil davon.
- Die vom Rahmen nicht absorbierten Kräfte werden an Vorbau, Sattelstütze und teilweise wieder in Richtung Räder zurück- bzw. weitergegeben.
- Die auf den Vorbau übertragenen und vom Vorbau nicht absorbierten Kräfte werden an Lenker und Sattelstütze weitergegeben.
Carbon Sattelstützen und ein passender Sattel können den Komfort deutlich verbessern.
Auch beim Gravelbike kommen immer mehr auf das Gravelbike abgestimmte Federungssysteme auf den Markt (s.u.).
Gefederte und ungefederte Masse
Die miteinander verbundenen Fahrradteile geben nicht nur die Lenkbewegungen des Fahrers zum Untergrund weiter, sie übertragen und absorbieren die während der Fahrt vom Untergrund herrührenden Kräfte.
Eine mögliche Definition der gefederten Masse:
Gefederte Masse ist die Masse, die von der Federung getragen wird. Also auch der Fahrer.
Weil ein Gravelbike (meistens) keine Dämpfungselemente aufweist (anders wie es bei einem Auto der Fall ist), ist lediglich der Fahrer in einer dynamischen Sitzposition dank der Knie- und Ellbogengelenke in der Lage Kräfte abzufedern (was er im Auto aufgrund der Sitzposition nicht kann). Die gesamte Masse des Gravelbikes ist somit ungefedert. Auch Reifen zählen zur ungefederten Masse.
Grundsätzlich gilt: je mehr Masse gefedert ist, umso besser Komfort und Fahrverhalten.
Beim E-Auto sind deswegen direkt am Rad befestigte schwere Elektromotoren vor der Federung ungünstiger für das Fahrverhalten. Aufwändige aktive sensorgesteuerte Federungssysteme können diesen Nachteil aber großteils kompensieren.
Je schwerer ein starrer Fahrradrahmen ist, umso mehr Masse erzeugt er bei Fahrbahnunebenheiten, die an den Fahrer übertragen werden.
Federungselemente
Federgabel
Eine Federgabel ist eine effektive Möglichkeit, das Verhältnis von ungefederter zu gefederter Masse erheblich zu verbessern. Auch für Gravelbikes sind speziell auf deren Geometrie abgestimmte Federgabeln erhältlich.
Federgabeln sind effektiv, aber auch recht schwer. Zudem beeinflussen sie die Geometrie deutlicher.
Für harten Geländeeinsatz aber immer noch die effektivste Möglichkeit der Federung und Stoßdämpfung.
Neben der klassischen Federgabel bietet das MTT System eine Federgabel ohne Stand- und Tauchrohre. Mit 20mm Arbeitsweig hat diese aber auch einen andere Absicht.
Vorbau und Sattelstütze
Eine Alternative zur Federgabel stellt der gefederte Vorbau dar. Bei diesem ist im Gegensatz zur Federgabel das Verhältnis von gefederter zu ungefederter Masse prinzipbedingt etwas ungünstiger als bei der Federgabel. Folgende Vorteile sprechen jedoch trotzdem für dessen Einsatz am Gravelbike:
- relativ leicht
- einfache Montage
- niedriger Preis
Hersteller spezifische Entwicklungen
Wenn man Gravelbikes als eine geländetaugliche Abwandlung des Roadbikes ansieht, dann dürften leichte und auf den Einsatzbereich abgestimmte Federungssysteme die bessere Wahl darstellen.
Cannondale Kingpin
Cannondale setzt den “Kingpin” als Federelement am Heck vieler seiner Carbon Gravelbikes ein.
Das Kingpin Element ist eine Achse, die es erlaubt, dass sich der Winkel der dünnen Sitzstrebe zum Sitzrohr hin bei Krafteinwirkung deutlich verändern darf und soll. Das gesamte Sitzrohr ist so konstruiert, dass es sehr flexibel ist, und auf diese Weise bis zum Oberrohr übertragen werden können und der gesamte Rahmen zum federnden Element wird. Die Eigenschaften von Carbon und die Ausrichtung der einzelnen Carbonlagen sorgen dafür, dass das ganze Gravelbike sehr effektiv Kräfte aufnimmt und überträgt. Die Kunst dabei ist wie so häufig, dass das Rad einerseits die agilen Fahreigenschaften nicht verliert und außerdem nicht mehr Material benötigt und somit leicht bleibt.
Specialized Future Shock
Specialized setzt in vielen seiner Roadbike orientierten Gravelbikes das sogenannte “Future Shock” System ein. Dieses System ist ein in Kooperation mit McLaren konstruiertes im Steuerrohr (und mit “Future Shock rear” neuerdings auch im Sitzrohr) montiertes Federungselement mit einer Federkonstruktion. Laut Specialized sei das Ansprechverhalten und Losbrechmoment von Elastomeren bei niedrigem zur Verfügung stehendem Federweg nicht ausreichend genug, weswegen man sich für ein fein arbeitendes Federsystem entschieden hat.
Specialized begründet die Entwicklung des Future Shock Systems dadurch, dass sich die Geometrie durch die vertikale Arbeitsweise nicht verändern würde und es dem Roadbike und Gravelbike Einsatzzweck optimal geeignet sei.
Änderungen bei Future Shock 1.5
Future Shock 1.5 bringt eine Feder und einen geänderten Anschlag an der Federwegsbegrenzung.
Änderungen bei Future Shock 2.0
Der grundlegende Unterschied zwischen Future Shock 1.5 und 2.0 ist die Einstellbarkeit. Die harte Einstellung “firm” bietet zwar keinen kompletten “lock-out”, bietet bei Sprints aber deutlich mehr Stabilität und federt gröbere Unebenheiten trotzdem ab. Auch bei langen Anstiegen wird der Verlust durch die Vermeidung von Wippen und damit verbundenen Tretverlusten nahezu eliminiert. Berichten von Specialized Fahrern zufolge verbleibt die Einstellung fast die ganze Zeit auf vollständig “open/soft”.
Wartung
Specialized bietet Dämpferkartuschen zur Wartung an, um im Falle eines Defekts die weitere Nutzung des Fahrrads zu gewährleisten.
“Future Shocks 1.5 & 2.0 are designed to maintain consistent performance for the length of ownership. Should a rider experience an issue with a Future Shock, complete cartridges are available as service parts, S194200039 & S194200040.”"
BMC Micro Travel Technologie (MTT)
BMC bietet das Dämpfungssystem für vorne und hinten an. Vorne kommen entweder der Redshift Vorbnau oder ein Federsystem am Gabelschaft zum Einsatz, was die Gabel zu einer “Federgabel” macht. Der 20mm Federweg ist mit Future Shock identisch, jedoch ist das Konzept ein anderes, weil das Federelement bei MTT unter dem Steuerrohr platziert ist.
Bei der MTT Heckfederung handelt es sich um ein Elastomerelement, dass zwischen den Sitzstreben und dem Sitzrohr montiert ist (s. Kingpin).
Die Idee ist aber weniger, die einzelnen Rohre Kräfte aufnehmen zu lassen, sondern darin störende und kräfteraubende Vibrationen effektiv zu reduzieren.
Die Federgabel lässt sich mithilfe drei verschiedener Federhärten an die individuellen Bedürfnisse anpassen.
Vergleich
Redshift ShockStop | Future Shock | |||
---|---|---|---|---|
Ansprechverhalten | ||||
lock-out | nein | ✓ (Future Shock 2.0) | ||
Gewicht | Schwerer als ein starrer Vorbau. Leichter als eine klassische Federgabel | Schwerer als ein starrer Vorbau. Leichter als eine klassische Federgabel | Herstellerbindung | nein | ja (Specialized macht aber ein klares Statement zur "performance for the length of ownership") |
Lenkergeometrie | verändert sich während der Fahrt. Nach Eingewöhnung in Ordnung | verändert sich während der Fahrt nicht | ||
Tausch gegen klassischen Vorbau | ja | nein |